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Zehn Fragen an Mauri

1. Gab es einen Punkt auf der Hauptschule, an dem du gemerkt hast: Ich will mehr?


Es hat ein bisschen gedauert, bis ich diesen Punkt erreicht hatte. Als ich nach der Orientierungsstufe von der Real- zur Hauptschule wechseln musste, hat sich das schon wie ein Abstieg angefühlt. Andererseits sah ich in der Hauptschule auch eine Möglichkeit, um neu zu starten. Am Ende der 8. Klasse wusste ich dann auch, dass ich einen mittleren Bildungsabschluss möchte. Da wollte ich noch eine Ausbildung bei der Polizei machen.


2. Gab es eine bestimmte Person, die mehr in dir gesehen hat, als die anderen?


Da gab es eine Biolehrerin, die mir gesagt hat, dass ich einmal studieren werde. Mein Klassenlehrer hat das auch mal erwähnt. Dieser positive Zuspruch durch die Lehrer:innen hat mir sehr geholfen. Das lag aber sicherlich auch daran, dass wir eine sehr gute Schüler – Lehrer Beziehung hatten. An erster Stelle hat mich aber meine Mutter immer ermutigt, weiter zu lernen.


3. Worauf führst du persönlich deinen Erfolg hauptsächlich zurück? Zufall oder Eigeninitiative?


Meiner Ansicht nach gehören beide Punkte dazu. Ich habe mir immer Ziele gesetzt, die ich erreichen wollte. Mein Hauptschulabschluss, meine mittlere Reife, das Abitur, mein Master an der Uni. Heute setze ich mir kleinere Ziele im Arbeitskontext und bei Themen, die mich privat interessieren. Ohne ein Ziel kommst du nicht weiter. Du brauchst sie zur Orientierung, um den nächsten Schritt zu machen. Das hat denke ich viel mit Eigeninitiative zu tun.

Der Zufall ändert manchmal den Kurs. Ein Freund von mir arbeitet in einem jungen Unternehmen. Über ihn bin ich an ein Praktikum gekommen. Mir hat die Arbeit so gefallen, dass ich meine alten Pläne, Lehrer zu werden, verworfen habe. Heute kann ich also sagen, dass mich auch der Zufall dahin gebracht hat, wo ich jetzt bin.

Jetzt will ich immer noch weiterkommen. Mein Ziel ist es, nie aufzuhören, mich neuen Herausforderungen zu stellen.


4. In welchen Situationen hattest du das Gefühl, dass an dich geglaubt wird?


Ich glaube, immer dann, wenn ich Verantwortung übernehmen durfte. Ich habe in einer Theater AG gespielt und war für verschiedene Bereiche verantwortlich. Irgendwann hat man mir einfach den Schulschlüssel in die Hand gedrückt, weil wir noch ein Bühnenbild aufbauen mussten. Ich war dann, mit noch einem Freund, zwei Tage lang am Wochenende in der Schule. Wir haben ein Budget erhalten, waren einkaufen, haben alles geplant und am darauffolgenden Montag stand die Bühne. Wenn man Vertrauen erhält, möchte man dieses auch zurückgeben. Das erzeugt einen positiven Kreislauf, denn wir haben auch echt viel Lob für die Bühnenarbeit bekommen.


5. In welchen Situationen hattest du das Gefühl, dass nicht an dich geglaubt wird?

 

Mir wurde an der Hauptschule einmal gezeigt, wie man einen Antrag auf Arbeitslosengeld ausfüllt. Ich dachte, das sei ein Witz. Wir wurden abgestempelt. Heute weiß ich, dass viele von uns einen Job und Familie haben. Ein alter Schulfreund promoviert gerade in Schottland. Sieht nicht nach Arbeitslosengeld und Hartz IV aus. Wir sind der Beweis dafür, dass es anders geht.


6. Hast du das Gefühl, etwas Wichtiges in deiner Jugend verpasst zu haben?


Nein, ich denke ich habe alles erlebt, was mir persönlich wichtig gewesen ist. Das waren jetzt vielleicht nicht die größten Reisen, aber ich war lange im Fußballverein. Hier war der Schulhintergrund auf einmal nicht mehr wichtig. Wenn man 0:3 verliert hat der Realschüler genauso verloren wie der Gymnasiast. Schön war auch, dass man gemeinsam gewonnen hat. Wir haben alles gegeben, um unser Ziel als Team zu erreichen.

Auf der Hauptschule habe ich einiges nicht gelernt. Wenn man nach der Hauptschule an eine Berufsfachschule geht und danach aufs Wirtschaftsgymnasium, sind aber meistens alle ungefähr auf dem gleichen Level. Wenn einem der Lernstoff komplett fehlt, sollte man das auch der Lehrkraft kommunizieren. Mir konnte dadurch bei dem ein oder anderen Thema geholfen werden.


7. Hattest du an der Uni Schwierigkeiten, die deine KommilitonInnen nicht hatten?


Ja, da war zum einen der finanzielle Aspekt. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie und es gab nicht viel Geld. Wichtig war zu der Zeit für mich, Informationen über staatliche Förderungen wie BAföG zu erhalten. Das gab mir die Chance, mich auf mein Studium zu konzentrieren.
Dann kamen ganz praktische Sachen dazu, zum Beispiel wie man für einen Kurs an der Uni überhaupt richtig lernt. Es gibt viele Freiheiten an der Universität, aber man muss damit umgehen können. Das hatte ich erst nach dem 4. Semester richtig drauf. Ich war der erste meiner Familie, der angefangen hat zu studieren und von zu Hause gab es nicht viele Tipps oder Erfahrungen. Ich war irgendwie allein damit.

8. Was hat/hätte dir geholfen, um diese Schwierigkeiten zu überwinden?


Ich bin dann in die Fachschaft gegangen, um mich mit älteren Kommiliton:innen anzufreunden und zu lernen. Generell ist es immer gut, den Kontakt zu suchen. Das können Dozent:innen, Kommiliton:inen sein. Praktika helfen auch, ebenso die Arbeitserfahrung im Nebenjob. Kontakte ermöglichen dir, neue Türen zu öffnen. Hinter Türen verbergen sich Chancen.  Mich hat eine solche Chance in die Software-Branche geführt.


9. Welche Rolle hat dein Studium bei deiner Herkunftsfamilie gespielt?

 

Meine Mutter hat mich immer ermutigt, weiter zu machen. Meine Bildung war ihr enorm wichtig. Obwohl sie sich mit Uni und allem, was dazu gehört, nicht auskannte, habe ich sehr viel Unterstützung erhalten, um meinen Weg weiter gehen zu können. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten hat sie alles gegeben.


10. Was können wir tun, um Arbeiter:innenkindern das Leben an der Uni zu erleichtern?


Der BAföG-Antrag müsste schneller gehen. Ein Antrag von mir lag mal fast ein Jahr auf dem Tisch der Behörde. Das war eine harte Zeit und mein Fokus lag nicht unbedingt auf der Uni. Eine Absicherung hilft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.


Ein tolles Konzept ist die Einführung von Pat:innen für Studienanfänger:innen. Hier kann ein Erfahrungsaustausch stattfinden. An der Uni Mannheim gab es vereinzelt schon Personen, die das gemacht haben, aber noch nicht in organisierter Form. Es gibt auch eine Organisation, die sich dafür stark macht, Kinder aus Arbeiterfamilien zu unterstützen (www.arbeiterkind.de).

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