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Lesen und lesen lassen

Die wenigsten meiner Schüler:innen lesen gerne. Alle haben gemeinsam, dass sie von mir, ihrer Deutschlehrerin, gesagt bekommen, wie wichtig lesen sei, wie wertvoll Bücher, Texte, Stücke, wie ungemein blablabla. Die meisten Lehrer:innen sehen das so und das hat gute Gründe.

Es geht hier nicht um die Frage, ob Danton, Effi und Werther eine Berechtigung haben. Natürlich haben sie das. Und ja, man kann ihre Probleme auf die Lebensrealität der Schüler:innen herunterbrechen. Aber vielleicht sollten wir uns die Frage stellen, ob es wirklich Sinn macht, das Lesen steinalter Texte als die Königsdisziplin des Deutschunterrichts auszumachen, wenn man sie eigentlich bis aufs Kleinste auseinanderklamüsern muss, um sie nahbar zu machen.

Vielleicht sollten wir uns stattdessen fragen, welchen Wert es hat, unseren Schüler:innen überhaupt so häufig Fließtexte vorzulegen. Oder ob wir aufhören wollen, uns über die fehlende Begeisterung und die dementsprechend inhaltsleeren Ergebnisse zu empören.

Sollten wir unsere Jugendlichen nicht eher, oder zumindest gleichermaßen, darauf vorbereiten, viele, total zufällige, teilweise aufwühlende Informationen möglichst sinnvoll zu filtern, zu strukturieren und auf ihre Quellen hin zu überprüfen? Sollten sie nicht gleichermaßen in der Lage sein, große Sachverhalte in smarten Memes zu verpacken und anhand einer Überschrift zu erkennen, ob ein Thema sie interessiert oder nicht?

Vielleicht müssen wir uns einfach mal trauen, uns von dem Wunsch zu verabschieden, dass das, was seit Jahrzehnten als relevant gilt und damit aus einer völlig anderen Zeit stammt, heute immer noch interessant für unsere Jugendlichen ist? Vielleicht müssen wir uns auch eingestehen, dass derartige Texte im Bildungskanon verdächtig dünkelhaft daherkommen und in den meisten Fällen eher trennen, statt zu verbinden?


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